SPIRIT Talk im ENERGY PARK mit Ruedi Müller

Der ENERGY PARK im solothurnischen Laupersdorf ist ein Privatmuseum, das für Einzelpersonen jeden ersten Samstag im Monat von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr geöffnet ist. Für Gruppen und Gesellschaften können auf Anfrage aber fast alle Wünsche ausserhalb der offiziellen Öffnungszeiten erfüllt werden. Was gibt es in diesem Museum zu sehen? Eine ganze Menge, natürlich vorwiegend klassische Autos, Motorräder und viele andere technische Gerätschaften. Auch Flugzeuge und Teile davon können in der Ausstellung angeschaut werden. Der Ursprung des Museums und der Sammlung von Martin Jaggi und seiner Familie aber sind Tanksäulen. Rund 600 Exemplare besitzt er, etwa die Hälfte davon kann im Museum besichtigt werden. Es soll sich übrigens um die grösste Sammlung dieser Art weltweit handeln. Da stehen Raritäten, die es nur noch im ENERGY PARK zu bestaunen gibt. Martin Jaggi und sein Team publiziert seit 2023 auch das Magazin ‘spirit‘, welches alle 2 Monate erscheint. Das Museum ist aber nicht einfach eine Ansammlung von Fahrzeugen und Geräten, es finden regelmässig verschiedene Events statt, über die man sich auf der Webseite des ENERGY PARK informieren kann. Einer dieser Events ist der SPIRIT Talk. Dabei geht es jeweils um ein Thema, das von kompetenten Fachleuten erklärt und präsentiert wird. Am vergangenen 3. August erzählte Ruedi Müller aus der sogenannten Belle Époque, wie man den Zeitraum von 1871 – 1914 nennt.

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spirit talk im ENERGY PARK Laupersdorf mit Ruedi Müller, Samstag, 3. August 2024. Ruedi Müller dürfte vielen Lesern vor allem als Organisator des seit 2000 durchgeführten Events O-iO, was für Oldtimer in Obwalden steht, bekannt sein. Er ist aber auch Redaktor für den SMVC in der Swiss Classics Revue (seit 2006), Member in FIVA Events Commission und FIVA Steward,
Ehrenmitglied beim Dachverband SHVF und Mitglied der Oldtimerclubs SMVC und FNA.

Rückblickend betrachtet man die Belle Époque als eine Zeit des Aufschwungs, des technischen Fortschritts und den Beginn der Industrialisierung. Diese aus heutiger Sicht so schöne Zeit endete mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914, der aber gleichzeitig die Entwicklung der Motorisierung beschleunigte. Im Ersten Weltkrieg wurden erstmals technische Errungenschaften zu Wasser, Land und auch der Luft, eingesetzt. Vor allem das Automobil zeigte sich als sehr nützlich, konnte es doch Lasten und auch Soldaten viel schneller von A nach B befördern als z.B. Pferde. Und hier sind wir beim Thema, das Ruedi Müller in seinem Vortrag den interessierten Zuhörern erklärte. Grosse Städte wie London und vor allem New York wuchsen rasant, was einen grossen Einfluss auf die Mobilität hatte. Immer mehr Menschen brauchten immer mehr Nahrungsmittel und Dinge für den täglichen Gebrauch. Das alles musste mit von Pferden gezogenen Karren transportiert werden. Auch die Pferde mussten mit Nahrung versorgt werden und diese Nahrung wurde schnell zum grossen Problem, denn war vorne reinging kam in Form von Pferdemist hinten wieder raus. In London lebten zu dieser Zeit etwa 50.000 Pferde, in New York waren es sogar rund 170.000. Auch in Wien gab es Pferde soweit das Auge reichte. Um 1900 sollen es an die 40.000 gewesen sein. Die beschlagenen Hufe, die ratternden Räder von Kutschen und Transportwagen verursachten einen Höllenlärm – von den ersten Sonnenstrahlen an bis spät in die Nacht. Keine Spur von idyllischer Stille. Da muss man den Begriff Belle Époque schon etwas in Frage stellen. Ein weitaus größeres Problem als die ohrenbetäubende Geräuschkulisse war allerdings das, was die Vierbeiner während ihrer Arbeit auf den Straßen hinterließen. Ausgewachsene Pferde produzieren am Tag zwischen 10 und 30 Kilogramm Mist, an Urin fallen pro Pferd und Tag zwischen 5 und 15 Liter an. Beides mal 40.000, 50.000 oder gar 170.000 gerechnet ergibt: Berge von Pferdeäpfeln und ganze Bäche an Urin. Die Behörden hatten keinen Plan, diesem Problem zu begegnen, nicht einmal die Tatsache, dass im Jahr 1900 in New York etwa 20’000 Menschen an den Folgen von Infektionskrankheiten starben, konnte die Behörden zum Handeln bewegen.

spirit talk im ENERGY PARK Laupersdorf mit Ruedi Müller, Samstag, 3. August 2024. Ältestes Fahrzeug im ENERGY PARK, ein Panhard & Levassor aus dem Jahr 1890. Fahrzeuge dieser Gattung werden oft auch als Motorkutsche bezeichnet.

Anfänglich bezahlten Bauern für den anfallenden Pferdemist, als die Mengen derart gross wurden, verlangten die Bauern Geld, damit der Mist abtransportiert wurde. Das sparte man sich offenbar und so stapelten sich in New York die Misthaufen zwischen den Häusern bis zu einer Höhe von fast 20 Metern. In Europa wurde das Auto 1886 erfunden, nicht das erste, aber das erste mit einem Verbrennungsmotor. Dampfbetriebene Fahrzeuge gab es schon lange davor. Durch die Verbreitung des Automobils, das sich eben ohne Pferde fortbewegen konnte, nahm die Anzahl der  Fuhrwerke langsam ab und der Pferdemist wurde weniger. Die USA hinkten in der Entwicklung der motorisierten Fortbewegung noch etwas hinterher, so gab es erst kurz nach der Jahrhundertwende die ersten einfachen Autos von Ford, die dafür aber bereits ab 1908 mit dem Modell T in riesigen Stückzahlen produziert wurden. Auch wenn die Amerikaner nicht das Auto erfanden, sie erfanden dafür das Fliessband. Am 14. Januar 1914 wurde bei der Ford Motor Company das erste seiner Art eingerichtet. So konnten zwischen 1908 und 1927 rund 15 Millionen des ‘Model T’ auch genannt Tin Lizzie, produziert werden. Das Auto löste so schnell das Problem des Pferdemists und die Städte wurden sauberer. Das war ein angenehmer Nebeneffekt dieses neuen Fortbewegungsmittels, das heute, nach rund 120 Jahren, vielerorts verteufelt wird. Ob die Zukunft der individuellen Mobilität elektrisch sein wird ist fraglich, sie wird sicher teilweise so sein. Aber das ist eine andere Geschichte. Uns als Liebhaber von klassischen Fahrzeugen und rollendem Kulturgut geht es darum, diese zu erhalten und auch weiterhin bewegen zu dürfen. Die Tatsache, dass die Autos einst die grossen Städte dieser Welt säuberten, sollte vermehrt in Erinnerung gerufen werden.

spirit talk im ENERGY PARK Laupersdorf mit Ruedi Müller, Samstag, 3. August 2024

Nach dem Vortrag von Ruedi Müller traf man sich im Museum zum gemeinsamen Mittagessen, an Nachmittag erzählte Martin Jaggi noch interessante Geschichten zu seinem Museum und wie die ganze Sammelleidenschaft begann. Ein wirklich interessanter, informativer und auch lustiger Tag ging zu Ende. Viele Teilnehmer reisten mir ihrem Klassiker an, auch wir mit unserem schwarzen Peugeot 403. Nach Hause ging es gemütlich über Landstrassen, ohne Hektik und Stress. Vielen Dank an Martin Jaggi und seine Familie für ihr Engagement und bis zum nächsten Mal.

Bernhard Taeschler überholt uns mit seinem weissen Jensen Healey

Fredi Vollenweider, Ela Lehmann, 04.08.2024

3 Gedanken zu „SPIRIT Talk im ENERGY PARK mit Ruedi Müller

  1. Danke Fredi für den Text und Dir und Ela für die tollen Bilder.
    Freute mich:
    -Dass Ihr zwei beiden im Energypark dabei ward.
    -An den unerwartet vielen Teilnehmenden (über. 50 laut Martin Jaggi) an dem problematischen Datum. Ich hatte nur mit wenigen ZuhörerInnen gerechnet. Dies wegen Ferienzeit und 1. August an einem Donnerstag, was viele veranlasste den Freitag frei zu nehmen und ein verlängertes Wochenende zu geniessen.
    -Über die n zahlreichen positiven Feedbacks noch vor Ort und dann per Facebook, Mail und WhatsApp.

    • Sali Ruedi

      Vielen Dank für Deinen Kommentar und Deinen Vortrag. Während der Coronazeit kam im Fernsehen eine Reportage über genau dieses Thema, da ging es aber primär um die Problematik mit der Gesundheit. Dass aber schlussendlich das Auto für die viel besseren Verhältnisse sorgte, wurde nur beiläufig erwähnt. Es darf ja nicht sein, dass man das Auto lobt. Das vermeintlich saubere Elektrofahrzeug ohne Abgasen erzeugt andernorts aber dennoch viel Abfall. Es bleibt spannend und keiner weiss genau wohin die Reise führt. Nochmals vielen Dank, gute Nacht und einen guten Wochenstart.

      Herzliche Grüsse
      Fredi, Ela und Team DREAM-CARS.CH

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