Es gibt Autos, die fallen sofort auf, andere nicht, obschon sie etwas Besonderes sind oder eine besonders interessante Geschichte haben. Die Geschichte sieht man ihnen meist nicht an, die erfährt man erst auf Nachfrage beim Besitzer. Dann gibt es aber Klassiker, denen man die Geschichte ansieht – und dann wird es spannend. So geschehen bei einem silberfarbenen Porsche 356 Cabriolet. Ein 356er Cabriolet ist jetzt nicht so selten, halt ein sportliches Cabriolet aus den Fünfzigerjahren wie man es an grösseren Oldtimertreffen sieht. Der besagte ‘Silberfarbene’ aber ist sehr speziell. Erstmals ist uns das Auto in Brescia an der Mille Miglia 2022 aufgefallen. Die brasilianischen Kennzeichen und der doch arg ramponierte Gesamtzustand erweckte die Neugier. Leider konnte der Besitzer nicht ausfindig gemacht werden und es blieb bei ein paar Bildern. Google-Recherchen brachten nicht viel, somit war die Geschichte für uns eigentlich zu Ende. Bis zum Solitude Revival 2022. Im Fahrerlager ist der Porsche 356 sofort aufgefallen.
Wir machten einige Bilder und bald schon war auch der Besitzer anwesend. Es standen einige Leute um das Auto und man erzählte Geschichten, aber niemand wusste Genaues. Der Wagen soll angeblich von Porsche gekauft worden sein, andere meinten, das sei sowieso eine Replika, die absichtlich in einen so geschundenen Zustand versetzt worden sei. Hätte ja alles sein können, damit gaben wir uns aber nicht zufrieden und fragten den Besitzer, der glücklicherweise gut englisch spricht, denn mit Portugiesisch wären wir nicht sehr weit gekommen. Angesprochen auf die Gerüchte verneinte Mauricio Marx, der Besitzer, das Auto gehört ihm und es steht auch nicht zum Verkauf. Im Gegenteil. Der Porsche 356 mit Baujahr 1951 wurde 1952 nach Brasilien ausgeliefert und während mehreren Jahren im Rennsport eingesetzt. Das setzte dem 356er mit Reutter-Karosserie aus Stuttgart natürlich zu. Er wurde nach Schäden aber immer wieder repariert und je nach Besitzer neu lackiert. Die zahlreichen Farben sieht man noch immer an der A-Säule auf der Fahrerseite. 1980 kaufte ein Anwalt aus Sao Paulo den Porsche. Sein Traum war, einmal an der Mille Miglia teilzunehmen. Dazu kam es leider nicht, Flavio Marx verstarb 1999 mit nur 58 Jahren. Vor seinem Tod schenkte er den Porsche seinem Sohn Mauricio. Der musste versprechen, zum Porsche zu schauen und ihn in Schuss zu halten, was Mauricio bis heute machte. Im Frühjahr 2022 beschloss er, den Porsche 356 nach Europa zu verschiffen und damit an die Mille Miglia zu fahren, quasi zu Ehren seines Vaters Flavio. Der Porsche kehrte also nach 70 Jahren an seinen Geburtsort zurück. Technisch wurde der Porsche überarbeitet und instandgestellt, die Karosserie aber zeigt noch immer die Spuren eines harten Autolebens. Die Karosserie wurde komplett abgeschliffen und mit einem silbernen Speziallack versiegelt, damit nicht noch mehr Rostlöcher entstehen 😉
Wie geht die Geschichte weiter? Vorerst bleibt das Auto in Europa, wo Mauricio an einigen Events teilnehmen wird. Voraussichtlich im September 2022 wird Mauricio Marx mit seinem geliebten Porsche 356 Cabriolet wieder nach Brasilien zurückkehren und ihn weiterhin auf den Strassen Sao Paulos bewegen. Wir wünschen ihm und Zuza, so heisst der der 356, alles Gute und ein langes Leben.
Fredi Vollenweider, Ela Lehmann, 21. Juli 2022
www.solitude-revival.org