Ein sonderbarer und unbekannter Delahaye

 

Kürzlich kam mir ein altes Oldtimermagazin ’Markt’ aus dem Jahr 1986 in die Hände. Ich öffnete es und sofort fiel mir ein kleines schwarz/weiss-Bild auf bei den Kleinanzeigen. Unter der Marke Delahaye war ein heruntergekommenes Cabriolet zu sehen.

Delahaye Nemecek

Dieses Bild aus der Zeitschrift ‘Markt für klassische Automobile und Motorräder’ von 1986 erweckte die Aufmerksamkeit.

Delahaye ist ja doch eine edle Marke und das Wort Sonderkarosserie Uhlig machte mich definitiv neugierig. Ich publizierte das Bild auf zwei Facebook-Gruppen in der Hoffnung, dass jemand das Fahrzeug kennt und weiss, wo es sich befindet. Wenn so ein Fahrzeug 1986 in dem Zustand angeboten wurde kann man davon ausgehen, dass es zwischenzeitlich restauriert wurde. Es kamen dann in den Kommentaren tatsächlich einige Hinweise, die aber keine konkreten Ergebnisse lieferten. Die Recherche im Internet nach Delahaye und Uhlig brachten nichts, ausser zwei PDF-Dateien einer Firma Uhlig, die Motorradbeiwagen baute. Ansässig war Uhlig in Eilendorf bei Leipzig. Ich zweifelte schon am Inseratetext bis Georg Dönni auf Facebook schrieb, dass die Firma nicht Uhlig sondern Uhlik hiess und in Prag domiziliert war. Da kamen dank ‘Mr. Google’ doch wesentlich mehr Resultate. In einem Forum gibt es eine Auflistung von Uhlik-Aufbauten, Delahaye aber fehlt. Also bestanden weitere Unklarheiten und eines schien ebenfalls klar, auch wenn im Inserat das Baujahr mit 36 – 38 angegeben wird, die Karosserie dürfte nach dem Krieg entstanden sein. So blieb es bei Vermutungen, ob nun Uhlik oder Delahaye vielleicht nicht stimmt oder gar ein falsches Bild abgedruckt wurde. Sicher aber war, dass es nicht eine Kreation des Seitenwagenherstellers Uhlig sein kann.


Ebenfalls in einem Facebook-Kommentar schrieb ein guter Bekannter, Carsten Müller, Bundestagsabgeordneter aus Braunschweig, dass die angegebene Telefonnummer eben aus Braunschweig und sogar aus dem gleichen Stadtviertel sei. Er interessierte sich natürlich auch über diese Geschichte und nach dem Motto ‘man kann es ja versuchen’ wählte ich die im Inserat angegebene Nummer, aber wie zu erwarten war, keiner ging ans Telefon. Ein zweiter Versuch und tatsächlich meldete sich ein Herr. Ich erklärte ihm den Grund meines Anrufs und der erstaunte Herr sagte, dass er diese Nummer erst seit etwa 25 Jahren habe, aber er kenne den ‘Vorbesitzer’ dieser Nummer. Freundlicherweise gab er mir seinen Namen bekannt und ich fand wieder über Google seine Nummer. Also wählte ich diese Nummer und ein Herr J.F. meldete sich. Wieder erzählte ich die Geschichte und Herr F., aus Prag stammend, war sehr erstaunt, dass sich nach 33 Jahren jemand auf sein Inserat meldet. Im Gespräch erzählt er mir, dass er damals 1986 für einen Bekannten aus Prag diesen und einen zweiten Delahaye in Deutschland zum Kauf angeboten hatte, er selber aber mit den Fahrzeugen nichts zu tun gehabt hätte. Die Spur drohte also schon, im Sand zu verlaufen. Als sich Herr F. an den Namen erinnerte, keimte wieder Hoffnung, erst recht, als ich mitgeteilt bekam, dass der Bruder seines Bekannten (dem damaligen Besitzer der Autos) nach der Auflösung der Tschechoslowakei in die Schweiz ausgewandert sei und in der Nähe von Luzern lebe. Also rasch im Telefonbuch nachgeschaut und tatsächlich, so war es. Lustigerweise beginnt der Vorname auch mit J und der Nachname mit F. also ein zweiter Herr J.F. Natürlich rief ich sofort an und Herr J.F. aus L. war ebenfalls erstaunt, dass nach so langer Zeit jemand nach diesen Autos fragt. Er sagte mir, dass er im Januar nach Prag zu seinem Bruder fahren werde, da seien eventuell noch Unterlagen und Fotos vorhanden. Nach seiner Rückkehr würde er sich mit mir in Verbindung setzen. Das tönte schon mal gut und es hiess jetzt abwarten und Glühwein – äh, Tee trinken. Das war im Dezember 2019.

Delahaye 148N Nemecek Cabriolet

Das Bild des Inserates in besserer Qualität.

Anfangs April kam ein Mail mit Bildern. Der Bruder des besagten Herrn F. kaufte 1974 zwei Delahaye von einem gewissen Herrn Kafka. Das eine war ein Delahaye 135 M mit Chapron-Karrosserie und der Chassis-Nummer 48721. Der Wagen gelangte später in den Besitz von Ruedi Wenger, Carrosserie Wenger, Basel. Er war lange im Besitz des Autos, welches dieses Jahr am 6. Februar an der RETROMOBILE in Paris für rund 235’000.00 Euro versteigert wurde. Soviel zum einen der beiden Autos. Uns interessiert hier aber die Geschichte des ‘Uhlik-Delahaye’. Es handelt sich um einen Typ 148 N, Baujahr Ende der Vierzigerjahre. Beim Anblick der doch sehr seltsam anmutenden Karosserie kamen Zweifel auf, ob der Aufbau wirklich von Uhlik stammt. Was dagegen spricht ist die Tatsache, dass im sehr detaillierten und umfangreichen Archiv von Uhlik nichts über einen Delahaye erwähnt ist. Zweitens gibt es am Fahrzeuge diverse Merkmale, so z.B. die beiden ‘Adlerschwingen’ auf den vorderen Kotflügeln, die ein typisches Merkmal der eher unbekannten Carrosseriefirma Nemecek aus Prag waren.

Delahaye 148N Nemecek Cabriolet

Eine doch sehr eigenwillige Formgebung. Auf den vorderen Kotflügeln sind die stilisierten Adlerschwingen sehr gut zu erkennen. Sehr seltsam sind auch die Türen

Der Delahaye wurde später, im Jahr 2000, an einen gewissen Herrn Schwarz verkauft. Leider ist dieser Herr Schwarz nicht mehr auffindbar und nach unbestätigten Angaben sei der Wagen nach Russland verkauft worden. Es ist auch nicht bekannt, ober der Wagen mittlerweile restauriert ist. Sollte er sich wirklich in Russland befinden, wird die Suche schwierig, schon aus sprachlichen Gründen. Mehr ist zur Zeit über dieses interessante Fahrzeug leider nicht bekannt, aber vielleicht weiss jemand unserer Leser und Leserinnen mehr.

Delahaye 148N Nemecek Cabriolet

Der Delahaye anlässlich des Transports vom Fundort zum Käufer.

Fredi Vollenweider, 6. April 2020

Update: 11.05.2020

Ein Leser aus Tschechien kommentierte unten mit dem Hinweis, dass dieser Delahaye im Buch Začalo to “Zetkou” von Václav Kafka abgebildet sei. Das Buch ist in tschechischer Sprache verfasst.

Wir beschafften uns das Buch über einen Online-Händler und tatsächlich, auf Seite 90 ist der Delahaye zu sehen. Die Reifen noch luftgefüllt und hinten ein Kennzeichen. Das Verdeck sieht aus wie eine Notlösung und die Stossstange erinnert an einen Jaguar E-Type. Wann und wo diese Aufnahme gemacht wurde ist leider nicht bekannt.

Heckansicht des 'Nemecek-Delahaye'

Heckansicht des ‘Nemecek-Delahaye’

4 Gedanken zu „Ein sonderbarer und unbekannter Delahaye

  1. Ich schreibe für unsere monatliche Clubzeitung COVC-Gazette und dafür hätte ich gerne die Genehmigung den Artikel und ein/zwei Bilder “Ein sonderbarer und unbekannter Delahaye” in unserer Zeitung zu übernehmen. Herzlichen Dank für eine positive Antwort.
    Mit freundlichen Grüßen aus Wien Herbert Fischer, COVC (www.covc.at)

  2. Pingback: Ein sonderbarer und aussergewöhnlicher Delahaye | DREAM-CARS.CH

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